Angenehm unaufregend - Pierre Littbarski in Liechtenstein 11FREUNDE

Publish date: 2024-12-06

Schwarzer Anzug, weißes Hemd und rote Kra­watte – Pierre Litt­barski hat sich schick gemacht. Unter anderem ist ein ARD-Fern­seh­team aus Köln zum Inter­view ange­reist. Jetzt, wo das WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel Deutsch­land gegen Liech­ten­stein ansteht, ist der deut­sche Trainer des FC Vaduz ein gefragter Mann. Von Medi­en­rummel zu spre­chen, wäre den­noch über­trieben. »Den brauche ich auch nicht«, sagt Litt­barski.

Nach all den Aben­teuern in Teheran scheint der Fuß­ball-Wel­ten­bummler die Beschau­lich­keit im Fürs­tentum zu genießen. Er, der in Berlin, Köln, Paris, Tokio und Sydney gelebt hat, ver­sucht im 5000-Seelen-Ort Vaduz einen Neu­an­fang. Wenn Pierre Litt­barski sagt, »es ist nicht auf­re­gend hier«, dann klingt das weniger nach Lan­ge­weile, denn nach will­kom­menem Kon­trast­pro­gramm zum Chaos in Iran, vor dem er im Herbst geflüchtet war.

Es gab dieses Angebot aus Vaduz, und weil Litt­barski nach eigenen Worten nicht gerne Däum­chen dreht und der Klub auf eine schnelle Ent­schei­dung drängte, nahm er es nach kurzer Bedenk­zeit an. Auch weil ihn die Dop­pel­funk­tion Trainer-Sport­di­rektor in der Stel­len­be­schrei­bung reizte. Und dann spielten nach den Erfah­rungen in Iran die Aspekte Sicher­heit und Kal­ku­lier­bar­keit eine wich­tige Rolle.

Sit­ten­wächter mokieren sich über Littis Hose

Es ist ruhig auf der Geschäfts­stelle des FC Vaduz. Pierre Litt­barski berichtet im kleinen Bespre­chungs­zimmer von Über­wa­chungs­ka­meras hinter Spie­geln, dem freund­li­chen Mann vom Geheim­dienst als Chauf­feur und einem Ali Daei als intri­gantes Vor­stands­mit­glied, der ihm und seinem Assis­tenten Robert Jas­pert das Leben bei Saipa Teheran zur Hölle machte. Nicht einmal einen Dol­met­scher wollte man anfangs dem deut­schen Trai­ner­team zur Seite stellen. Viele Details wirken befremd­lich, zum Bei­spiel dass sich die Sit­ten­wächter über Litt­barskis Trai­nings­hose, die nur bis zu den Knien reichte, mokierten.

In Vaduz darf »Litti« seine O‑Beine zeigen. Auch die Familie, die vor knapp zwei Monaten von Japan nach Liech­ten­stein über­sie­delte, fühlt sich wohl im Klein­staat, der von Banken und Bergen domi­niert wird. »Die Leute hier sind sehr strikt«, so Litt­barskis Ein­druck. »Und sie sind ein biss­chen zurück­hal­tend.« Das sei in etwa so wie in Japan, dem Geburts­land seiner Frau Hitomi und der Söhne Joel und Lucien.

Zurück­hal­tung – eine Spur weniger davon wünscht sich Pierre Litt­barski, wenn es um die Bezie­hung der 35.000 Unter­tanen von Fürst Hans-Adam II. zum Fuß­ball geht. Seit dem Auf­stieg des FC Vaduz in die oberste Schweizer Spiel­klasse, der das Land nach all den Nega­tiv­schlag­zeilen über Steu­er­hin­ter­zie­hung und Geld­wä­sche in ein posi­tives Licht rücken sollte, kommen im Schnitt 2222 Zuschauer ins Rhein­park-Sta­dion. Immerhin sind das dop­pelt so viele wie in der Saison 2007/2008. Es gibt aber auch Spiele wie das gegen Bel­lin­zona mit 930 zah­lenden Besu­chern. »Natür­lich würde ich lieber vor 40.000 Zuschauern spielen«, sagt Litt­barski. »Wenn man aber die Ein­woh­ner­zahl von Vaduz und Liech­ten­stein ins Ver­hältnis stellt, dann haben wir einen Rie­sen­zu­schau­er­schnitt.«

Umfeld und Infra­struktur, erzählt Litt­barski, seien auf jeden Fall besser als bei­spiels­weise in Yoko­hama, wo er mit seinem Team im Park trai­nieren musste und ein alter Schulbus mit Holz­bänken als Trans­port­mittel diente. Der 48-Jäh­rige klingt nicht ver­bit­tert, wenn er über den eines Welt­meis­ters ver­meint­lich unwür­digen Fuß­ball-Standort Vaduz spricht. »Ich habe nicht mehr erwartet. Da kommt der Rea­list in mir durch.«

Auch was die Spiel­kultur angeht, fand sich der eins­tige Drib­bel­künstler schnell mit dem Ist-Zustand ab. »Ich habe anfangs gesagt, wir wollen uns mit schönem Fuß­ball in der obersten Schweizer Liga eta­blieren – das war ein Fehler.« Für wirk­lich attrak­tiven Fuß­ball fehle ganz ein­fach das Spie­ler­ma­te­rial. Auch wenn die Liech­ten­stei­ni­sche Lan­des­bank sowie die Ver­mö­gens­ver­wal­tungs­firma MBPI die Haupt­spon­soren sind, ist das Budget mit neun Mil­lionen Schweizer Franken selbst für Schweizer Ver­hält­nisse eher bescheiden. Am ver­gan­genen Wochen­ende ging die Mul­ti­kulti-Truppe mit Profis aus elf Nationen und drei Liech­ten­steiner Eigen­ge­wächsen 0:5 beim FC Basel unter und muss weiter als Tabel­len­vor­letzter um den Klas­sen­er­halt bangen.

Roger Berbig:
»Mein Wunsch wäre der Abstieg von Vaduz«

Nicht wenige Fuß­ball-Anhänger in der Schweiz hoffen, dass der FC Vaduz in der nächsten Saison wieder zweit­klassig ist. Die Prä­si­denten arri­vierter Klubs sind von den Gästen ebenso wenig begeis­tert, unter anderem weil Vaduz kaum Zuschauer zu den Aus­wärts­spielen mit­bringt. Gegen Basel waren es 46. »Mein Wunsch wäre der Abstieg von Vaduz«, gibt Roger Berbig von Rekord­meister Gras­shopper Zürich unum­wunden zu. »Vaduz ist keine Berei­che­rung«, findet Stefan Nie­der­maier von Young Boys Bern. Ende April treffen sich die Ver­treter der Swiss Foot­ball League, um über die Ver­län­ge­rung des bis 2010 lau­fenden Ver­trags mit dem FC Vaduz zu beraten. 2004 war ver­ein­bart worden, dass der FC Vaduz in der Schweizer Super League spielen darf, wenn er die sport­li­chen und wirt­schaft­li­chen Kri­te­rien erfülle. Die Vor­zei­chen für eine Ver­län­ge­rung stehen nicht gut.

»Der Sport soll es ent­scheiden«, ant­wortet Axel Bern­hardt auf die Frage, wie es denn wohl wei­ter­gehe. Der Nie­der­bayer und Geschäfts­führer der »FC Vaduz-Lie AG« ver­weist zudem auf die solide wirt­schaft­liche Basis des Klubs, was im Schweizer Profi-Fuß­ball eher die Aus­nahme, denn die Regel ist. Und Bern­hardt erzählt von den Bemü­hungen, eine Fuß­ball-Kultur im Fürs­tentum auf­zu­bauen. Dazu zähle auch die Ver­pflich­tung von Pierre Litt­barski, der mit seinem großen Namen und der offenen Art dem Liech­ten­steiner Fuß­ball mehr Glanz ver­leihen soll. Bern­hardt, der Mar­ke­ting­fach­mann in Jeans und Roll­kra­gen­pull­over, spricht von »Per­so­na­lity«, die der Klub benö­tige.

Bern­hardt weiß auch um das Netz­werk, das Litt­barski welt­weit auf­ge­baut hat und das bei spek­ta­ku­lären Neu­ver­pflich­tungen helfen könnte. Unter anderem waren Henrik Larsson und Dwight Yorke im Gespräch. Am Ende half aber auch der Litt­barski-Faktor nicht, einen Hoch­ka­räter in die Fuß­ball-Dia­spora zu lotsen.

Statt­dessen kamen in der Win­ter­pause Neu­zu­gänge aus Island und Aus­tra­lien sowie die Deutsch­land-Importe Tobias Nickenig und Thorsten Kirsch­baum. Der eine konnte sich als Abwehr­spieler beim 1. FC Köln nicht durch­setzen, und der andere sah durch die Ver­pflich­tung von Timo Hil­de­brand seine Chancen auf der Tor­hü­ter­po­si­tion bei Hof­fen­heim gegen Null sinken. Der Sport­di­rektor Litt­barski kann nach eigenen Worten bei Ver­hand­lungen vor allem die Aus­sicht auf Spiel­praxis in die Waag­schale werfen, ein hohes Gehalt sicher nicht, auch wenn Liech­ten­stein welt­weit als Syn­onym für Geld und Wohl­stand steht. Mit Fuß­ball werde man hier nicht reich, stellt Pierre Litt­barski klar. »Aber man weiß, dass das Gehalt pünkt­lich über­wiesen wird.«

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